
Platz für Durchgebrannte
Das Tommy-Weissbecker-Haus wird 30 Jahre alt
Von Andreas Fritsche
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Außen so bunt wie innen: das Tommy-Weissbecker-Haus Foto: Udo Klein
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Jugendliche, die den Eltern davongelaufen oder aus dem Heim abgehauen
sind, können hier ein oder zwei Nächte unterkriechen. Wer länger
bleiben will, muss helfen: den Sportraum aufräumen oder den Hof fegen.
So läuft es im Tommy-Weissbecker-Haus (TWH) in der Kreuzberger
Wilhelmstraße 9 seit 1973. Vom 2. bis 8. März feiern Bewohner und Gäste
mit Konzert, Film und Tanz Jubiläum. Der
Altbau mit Seitenflügel ist eingeschlossen von modernen Häusern. »Sie
haben für jeden eine Kugel«, steht auf einem Rollo. Im Zuge der
Fahndung nach RAF-Terroristen erschoss ein Polizist am 2. März 1972
Thomas Weissbecker in Augsburg. 1973 zogen durchgebrannte Kinder– so
genannte Treber– in die bis dahin leer stehende Wilhelmstraße9. Seitdem
wohnen hier linke Jugendliche selbstverwaltet. Zurzeit sind es knapp 40
Leute ab 15 Jahre, die sich auf drei Wohngemeinschaften verteilen, in
denen immer ein Zimmer für Treber frei bleibt. Der Verein
Sozialpädagogische Sondermaßnahmen Berlin (SSB) pachtete das Objekt für
1049 Euro monatlich vom Land. Im Jahr 2007 läuft der Pachtvertrag aus.
Zwar räumt das Papier ein Vorkaufsrecht ein. Doch dieses Recht gilt
nicht im Falle einer finanziellen Notlage des Landes, wie sie jetzt
besteht. Sowieso fehlt dem Verein die aufzubringende Millionensumme.
Deshalb macht sich Nadine vom SSB-Vorstand, die auch im
Weissbecker-Haus wohnt, Sorgen um die Zukunft. Doch zunächst wird
erstmal Jubiläum gefeiert. Paula werkelt mit an einer Ausstellung zur
TWH-Geschichte, die am 2. März eröffnet werden soll. Die 19-Jährige
lebt erst seit ein paar Monaten hier und besucht die selbstverwaltete
Schule im Mehringhof. Wer im TWH noch zur Schule geht, der muss auch
wirklich hingehen. Darauf achte die Sozialarbeiterin im
Weissbecker-Haus, sagt Paula. Dass es das linke Wohnkollektiv
schon 30 Jahre gibt, wertet SSB als Erfolg. Immerhin sei das bunte Haus
von Politikern immer wieder als Sicherheitsrisiko eingestuft worden.
Davon unbeirrt mieten biedere Nachbarn den Veranstaltungssaal für
Hochzeiten oder besuchen das Café »Linie1« im Erdgeschoss. Dort kostet
der halbe Liter Pils 1,80 Euro. Es bestehe aber kein Konsumzwang,
erklärt Paula. Man könne auch sitzen und quatschen. www.tommyhaus.org
(ND 26.02.03)
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